Kunst und Konsum

Einleitung

Das Kunstverständnis vom Künstler als Produzenten beziehungsweise vom Kunstwerk als Produkt hat seit dem Beginn des 20. Jahrhunderts in den verschiedensten Kreisen Verbreitung gefunden. In dieser Hinsicht gleichgeartete Entwicklungen der Kunst werden in den gegensätzlichen politischen Systemen ganz unterschiedlich beurteilt – und das oft von ein und demselben Denker. Auch wenn mit dem Ende des kalten Krieges die Auseinandersetzungen auf diesem Gebiet nicht mehr das frühere Gewicht besitzen, sind die Fragestellungen und Argumentationsstrategien in Bezug auf die Kunst doch bis heute immer noch präsent.

Die hier vorliegende Arbeit will, basierend auf einer Überblicksdarstellung dreier Vertreter der linken Kunsttheorie zwischen Oktoberrevolution und endgültiger Durchsetzung der stalinistischen Kulturdirektiven im ersten Teil, im zweiten Teil einige ungezwungene Überlegungen zur Situation der Gegenwartskunst westlicher Prägung anstellen, ohne die Verbindungen zur Zwischenkriegszeit zu vergessen.

1.1. Boris Arvatov

Nach der Oktoberrevolution sieht Boris Arvatov zwei mögliche Entwicklungslinien für die Kunst. „Man kann erstens von der Demokratisierung der Kunst sprechen, d. h. von der Verbreitung schon bestehender Formen in den Schichten der arbeitenden Bevölkerung. (…) Zweitens kann man die Frage nach der Revolution in der Kunst stellen, d. h. nach einer derartigen Umgestaltung der künstlerischen Formen selbst, die den Lebensaufgaben der Arbeitenden entspräche. In diesem letzten Fall geht es nicht um die Kunst ‚für das Volk’, sondern um eine Kunst ‚des Volkes’“ . Abgesehen davon, daß Arvatov weiter unten in dem zitierten Text von 1921 die Meinung vertritt, der Begriff Volk müsse von nun an durch den des Proletariats ersetzt werden, geht bereits aus der Formulierung hervor, welcher Entwicklung er den Vorzug gibt. Denn die erstere der beiden Möglichkeiten steht „auf jenem bürgerlich-philanthropischen Standpunkt, der auf eine Versorgung der Arbeiter mit Ausgaben ‚ewiger’ (lies: bürgerlicher) Kunst hinausläuft. Dabei ist es klar, daß diese oberflächlich-opportunistische Position zu außerordentlich schädlichen Folgen führt und vor allem zu einer Verschleierung des Wesens der Sache, daß es nämlich eine einheitliche Kunst nicht gibt, daß sich auch in der Kunst auf dem Kampfplatz der Geschichte ein grandioser Klassenkampf entfaltet und daß deshalb die Agitation für die alte Kunst, d. h. die Kunst der Bourgeoisie unter der neuen Menschheit nicht ein revolutionärer, sondern ein konterrevolutionärer Akt ist.“

Allerdings stellt Arvatov eine Annäherung beider Strömungen in der Zeit vor der Oktoberrevolution fest und bezeichnet dies auch als „ganz natürlich“, denn „die zweite, revolutionärere dieser Strömungen hat nämlich nichtsdestoweniger die Klassenrolle der Kunst bloß als thematische Frage verstanden, weshalb sich das Problem einer neuen Kunst gar nicht stellte. Erst jetzt, unter dem Banner neuer Methoden und Formen wurde im Kampf für eine proletarische Kunst der Weg einer echten Revolution in der Kunst beschritten.“

Diese Kunst, die nicht von oben herab für das Proletariat gedacht ist, sondern für ihre Proletarisierung von unten eintritt, folgt also im Sinn des gesellschaftlichen Fortschritts dem Primat der Nützlichkeit. Es wird die Produktion dokumentarischer Literatur und von Gebrauchstexten – statt hermetischer Lyrik und schöner Prosa –, Agitations- und Straßentheater – statt kulinarischem Theatertheater –, die Produktion politischer Plakate und aufklärender Filme propagiert. Die gewünschte Kulturrevolution zielt auf eine Expansion der Kunst in die soziale Wirklichkeit, und zwar nicht nur ihrer Produkte, sondern auch der Produktion von Kunst.

Nach Arvatov vollzieht sich die Verbindung von jeglichem Kunstschaffen und der Realität, aus der es letztendlich hervorgeht, durch den Konnex der Befriedigung von in ihr unerfüllten Bedürfnissen. Diese Tatsache wird im Zusammenhang mit der geforderten „Liquidierung der ästhetischen, sog. ‚reinen’ Künste“ insofern zum Problem, als die Zerstörung der bis dahin „kanonisierten Fetische der Stilisierung nach dem Muster toter Epochen“ seiner Meinung nach nur dadurch zu erreichen ist, indem „diesen weihevollen Werten die Werte des ‚Niedrigen’, Nicht-kanonisierten gegenüberzustellen (sind): des Zirkus, der Schaubude u. ä.“ . Die „hochentwickelte, moderne Technik der psychologischen Wirkung“ dieser ‚niedrigen’ Kunst wird also lediglich als Methode für die Entwicklung hin zu einer proletarischen Kunst begriffen. „Aber, wie es gewöhnlich geschieht, ging die Faszination durch die Methode in eine Faszination durch die Form über, und ‚sie macht die Qualität aus’. Eine Fetischisierung der Form zieht immer und überall das Vergessen der sozialen Funktion nach sich, jenes Ziels, dem die Form dient. Durch die Form beginnt man um der Form willen angezogen zu werden – die Form wird prinzipienlos.“

1.2. Sergej Tretjakow

„Habe ich vor dem ersten Fünfjahresplan meine Werke als Beobachter, als Vorbeireisender, sozusagen als Vertreter eines künstlerischen Schiedsgerichtshofs geschrieben, so hat mich der Fünfjahresplan in die Aufbauprozesse hineingezogen und mich gelehrt, nicht ‚zu erzählen’, sondern ein gleicher in der Reihe der Bauleute zu sein, ein Mensch zu sein, der sozusagen ein Logbuch des Fünfjahresplans führt. Die direkte Schlußfolgerung daraus ist der operative Charakter meiner Werke.“

Auch wenn sie nur angerissen werden, so spricht dieses Zitat Sergej Tretjakows doch die meisten Elemente seiner künstlerischen Programmatik an, deren Konzeption im folgenden in den Grundzügen dargelegt werden soll.

Um einen besseren Einblick zu bekommen, übernimmt Tretjakow 1928 eine Funktionärsstellung in einem Kombinat, denn das bloße Zuschauen läßt ihn nicht genug verstehen, um im Sinne der proletarischen Revolution zu schreiben. „Mein Bericht würde oberflächlich sein, wenn ich mich nicht in das Leben und die Arbeit der Kollektivwirtschaften einreihte.“ So verdankt er seiner unmittelbaren Tätigkeit im Dienste der Gemeinschaft nicht nur tiefere Einblicke in das Wirken des sozialistischen Systems, sondern darüber hinaus ist es erst diese Tätigkeit, welche ihm überhaupt den Stoff für seine literarischen Arbeiten liefert, wie man seinem Bekenntnis entnehmen kann, vor der Oktoberrevolution Augenblicke gehabt zu haben, „wo ich nicht wußte, worüber ich schreiben sollte, und sozusagen an Themenlosigkeit litt.“

In dem neuen Arbeitsverhältnis – der innigen Verbindung zum „Material“, um mit Heiner Müller zu sprechen – ist es dem Schriftsteller allerdings nicht mehr möglich, die Position des objektiven Beobachters einzunehmen, und so wendet sich Tretjakow ganz bewußt von dieser Literaturkonzeption ab. „Ich beschrieb nicht mehr einfach die Menschen, ich haftete für meine Gestalten.“ Er gibt in seinen Texten nicht bloß die frei erfundenen Meinungen ihrer Figuren wieder; auch wenn die Charaktere dieser Texte nichtsdestoweniger fiktiv sind, ihre Grundaussagen stimmen unmittelbar mit den Meinungen und sehr realen Ansichten ihres Autors überein. Und dessen Meinung ist es, daß zu „wenig dafür getan worden ist, das System der Umbewertungen aller Bereiche des Lebens, das die Revolution hervorgebracht hat, auch auf die Kunst anzuwenden.“

„Heute ist die wichtigste Front die Front der ideologischen Organisation des Menschen.“

„Das Teilgebiet des Fünfjahresplans, auf dem der Schriftsteller tätig ist, wird in einem gewissen Maße zum Werk seiner Hände, und der vom Fünfjahresplan verwandelte Schriftsteller selbst zu seinem Produkt.“ Die Texte sind Produkte des Autors, so wie er selbst das Ergebnis seiner Produktionsverhältnisse geworden ist. Folgerichtig gibt Tretjakow seinem Beruf die Bezeichnung „Kunstarbeiter“, wobei der Unterschied im Begriff des Arbeiters in den politischen Systemen, in denen dieser Begriff gebraucht wird, zu beachten bleibt.

Unter dem am Anfang des Kapitels erwähnten operativen Charakter seiner Arbeiten versteht Tretjakow ihre unmittelbare praktische Wirksamkeit. Daß das nicht nur für die Gattung der Schriftsteller zutrifft, verdeutlicht er am Beispiel des Filmemachers als „Kunstproduzenten“ in einem kurzen Text aus dem Jahre 1926, sodaß man behaupten kann, seine Literaturtheorie ist auch auf andere Kunstbereiche anwendbar. Tretjakows Kategorisierung von Regisseuren läßt eine ungefähre Verwandtschaft mit den von Arvatov genannten zwei möglichen Wegen der Entwicklung in der Kunst erkennen, nur um eine explizite dritte Kategorie erweitert . Auf der einen Seite stehen diejenigen, welche aus ihrem Inneren schöpfen, wofür Tretjakow die Bezeichnung des „Stückchen Individualverzerrung“ gebraucht. Auf der anderen Seite gibt es Regisseure, „die sich im ‚permanenten Zweikampf’ mit ihrem Material befinden. Mit aggressiv-erfinderischem Blick attackieren sie Dinge und Menschen“ und wollen daraus ein Schaustück machen. Und endlich wird es in der Zukunft eine dritte Art geben, deren Prototyp durch Sergej Eisenstein verkörpert wird. Dieser ist „ganz auf die Intention konzentriert, auf den sozialen Effekt, den er auf das Auditorium ausüben will. (…) Das ganze System seiner persönlichen Empfindungen ist nichts anderes als Treibstoff für einen Motor“ , sozusagen das Mittel zur Erreichung des Zwecks, nämlich „zur möglichst wissenschaftlich begründeten schwierigen Arbeit an der Erforschung sozialer Empfindungen“.

Ausdruck dieser neuen Regieform ist – im positiven Sinne – der fehlende Stil. Es geht um die „Zweckmäßigkeit der Konstruktion“, und um diese zu gewährleisten, ist eine größtmögliche Zahl an Formen und Kombinationen vonnöten, um die jeweils wirkungsvollsten herauszufinden. Eisensteins neuartige Montagetechnik, wie er sie in ‚Streik’ und ‚Panzerkreuzer Potjomkin’ verwendet, erzielt einen „emotional stärkeren Effekt“ beim Publikum als alles vorher Dagewesene und zeichnet sich noch durch eine andere Tatsache aus, die nur aus dem Bewußtsein eines Ingenieurs entstammen kann: eine enorme Gründlichkeit und Sparsamkeit im Umgang mit dem Material. Das ist dann zwar keine angenehme Unterhaltung, doch ist das ja auch nicht das Ziel.

1.3. Walter Benjamin

In einer 1934 gehaltenen Ansprache im Institut zum Studium des Faschismus in Paris untersucht Walter Benjamin die Frage nach der Autonomie des Dichters. Mit einem Verweis auf Platons Der Staat, in welchem den Vertretern der nachahmenden Dichtkunst fiktionaler Art weder ein Aufenthalts- und erst kein Wirkungsrecht zugebilligt wird, verneint Benjamin diese Autonomie und bezeichnet sie als Illusion. „Der bürgerliche Unterhaltungsschriftsteller“ steht, obwohl er sich dessen in den wenigsten Fällen bewußt ist, „im Dienste bestimmter Klasseninteressen“, im Gegensatz zum „fortgeschritteneren Typus des Schriftstellers“, der sich sehr bewußt „auf die Seite des Proletariats stellt“. Platon verweist die Dichter nicht aufgrund eines negativen ästhetischen Urteils seines utopischen Staatsmodells, im Gegenteil: gerade weil er ihr Wirken so hoch schätzt, trifft er die politische Entscheidung, sie aus pädagogischen Gründen für zu gefährlich zu erklären.

Die Autonomie des Dichters wird bestimmt als die „Freiheit zu dichten, was er eben wolle.“ Gerade diese Position ist für Benjamin in der ihm gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage unhaltbar – man beachte das Jahr, in dem die Ansprache gehalten worden ist. In diesen Zeiten muß sich also nicht nur der Literat, denn man kann diese Aussage wohl auf alle künstlerischen Bereiche ausdehnen, fragen, egal ob er will oder nicht, ob er sich dessen bewußt ist oder nicht, „in wessen Dienste er seine Aktivität Stellen will.“ Der fortschrittliche Künstler gibt also seine Autonomie auf, um seine Tätigkeit nach dem auszurichten, „was für das Proletariat im Klassenkampf nützlich ist. Man pflegt zu sagen, er verfolgt eine Tendenz.“

Diese Tendenz als Merkmal eines Kunstwerks stellt Benjamin nicht gerade über das Merkmal der Qualität, vielmehr löst er letzteres in dem erstgenannten Merkmal auf, denn er behauptet: „ein Werk, das die richtige Tendenz aufweist, muß notwendig jede sonstige Qualität aufweisen.“ Indem die richtige politische Tendenz eines Werks seine literarische Qualität einschließt, weil sie seine literarische Tendenz einschließt, läßt sich dieser Streit wegen der strukturellen Analogie der jeweiligen Argumente mit der älteren Debatte um Form und Inhalt vergleichen. Hier stellt Benjamin die für ihn entscheidende Frage nach dem Zusammenhang von Dichtung und Produktionsverhältnis, deren Beantwortung auf „die schriftstellerische Technik der Werke“ abzielt. Die Technik wird hier als der Ansatzpunkt bezeichnet, von dem aus der „Gegensatz von Form und Inhalt zu überwinden ist. Und weiterhin enthält dieser Begriff der Technik die Anweisung zur richtigen Bestimmung des Verhältnisses von Tendenz und Qualität“.

Die in der Ansprache untersuchte Organisationsform dieser Technik wird in erster Linie am Beispiel der Zeitung erläutert, weil sich an ihr am klarsten die gewünschte Entwicklung zeigen läßt, wenn auch mit der Einschränkung einer Umbewertung auf politischer Basis. Denn während im kapitalistischen System die Meinungen der Leser nur deshalb abgedruckt werden, um selbige besser und vor allem langfristiger an die Zeitung binden zu können, erwächst im existierenden Sozialismus durch diese Miteinbeziehung eine erlösende Möglichkeit. „Indem nämlich das Schrifttum an Breite gewinnt, was es an Tiefe verliert, beginnt die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum, die die bürgerliche Presse auf konventionelle Art aufrechterhält, in der Sowjetpresse zu verschwinden.“

Solange sich die Produktionsverhältnisse von Literatur, als Beispiel für Kunst überhaupt, in den Händen der bereits Mächtigen – Benjamins Feind ist das Kapital – befinden, ist ihr Inhalt nicht falsch, aber doch nebensächlich. Als Beweis für diese Frontstellung führt er die Veröffentlichung fortschrittlicher Literatur durch konservative Verleger an, denen es dabei nicht um die in diesen Texten zum Ausdruck kommende Gesinnung geht, sondern einzig darum, mit ihren Publikationen Profit zu erwirtschaften, denn der fortschrittliche ist wie der konservative Leser innerhalb des bestehenden politischen Systems in die Rolle des Konsumenten gedrängt. Nur so ist es zu erklären, „daß ein beträchtlicher Teil seiner (Deutschlands) produktiven Köpfe unter dem Druck der wirtschaftlichen Verhältnisse gesinnungsmäßig eine revolutionäre Entwicklung durchgemacht hat, ohne gleichzeitig imstande zu sein, seine eigene Arbeit, ihr Verhältnis zu den Produktionsmitteln, ihre Technik wirklich revolutionär zu durchdenken.“ Die Vereinnahmung auch des revolutionären Künstlers durch das Kapital wird von Benjamin dermaßen bewertet, „daß die politische Tendenz, und mag sie noch so revolutionär scheinen, solange gegenrevolutionär fungiert, als der Schriftsteller nur seiner Gesinnung nach, nicht aber als Produzent seine Solidarität mit dem Proletariat erfährt.“

Und so mag es dann nicht verwundern, wenn Benjamin in dieser Ansprache die Empfehlungen des Aktivisten Döblin polemisch relativiert, den Vertretern der neuen Sachlichkeit wie Kästner oder Tucholsky Kollaboration mit dem Feind vorwirft und statt dessen den Zuhörern als Erfüllung seiner eigenen Forderungen das epische Theater Brechts ans Herz legt, dessen Zielsetzung nicht die bloße Belieferung, sondern die mögliche Veränderung des Produktionsapparates ist. Unter dem Stichwort der ‚Umfunktionierung’ macht Brecht sich die ursprünglichen Elemente des Theaters und die Strukturen seines Betriebes zunutze, um in der Auseinandersetzung mit anderen Publikationsinstrumenten wie etwa Kino und Radio von ihnen zu lernen, statt in Konkurrenz mit ihnen zu treten. Die sich so verändernden Produkte mit ihrem Prinzip der Unterbrechung und dem Verfahren der Montage wirken auf die Produktionsbedingungen zurück, indem sie den Zusammenhang zwischen dem auf der Bühne dargebotenen Stück und der gesellschaftlichen Situation, aus der es entstanden ist, herstellen. Wichtig für Benjamin ist hier der Begriff des Zustands, der dem Publikum durch Entfernung um so nähergebracht wird.

Unter Ablehnung des von Benjamin als ‚Routinier’ bezeichneten Autorentyps gibt er neben dem epischen Theater als zweites Beispiel Tretjakow an. „Tretjakow unterscheidet den operierenden Schriftsteller vom informierenden. Seine Mission ist nicht zu berichten, sondern zu kämpfen; nicht den Zuschauer zu spielen, sondern aktiv einzugreifen.“ Und deshalb wird mit dem Rekurs auf Plato auch auf das Thema Zensur in der UdSSR eingegangen, denn es bildet für einen Schriftsteller sehr wohl einen Unterschied, ob seine Texte innerhalb des kapitalistischen oder des kommunistischen Politsystems veröffentlicht werden. Während in den westlichen Demokratien mit dem Hinweis auf das Recht der generellen Meinungsfreiheit auch die Verleger ein Interesse daran haben, alles herausbringen zu dürfen, was sich den Gesetzen des Marktes nach rechnet, verweist die Sowjetunion zwar nicht den Dichter des Landes, aber sie weist ihm bestimmte Aufgaben zu, „die es ihm nicht erlauben, den längst verfälschten Reichtum der schöpferischen Persönlichkeit in neuen Meisterwerken zur Schau zu stellen.“

„Dem Autor, der die Bedingungen heutiger Produktion durchdacht hat, wird nichts ferner liegen, als solche Werke zu erwarten oder auch nur zu wünschen. Seine Arbeit wird niemals nur die Arbeit an den Produkten, sondern stets zugleich die an den Mitteln der Produktion sein. Mit anderen Worten: seine Produkte müssen neben und vor ihrem Werkcharakter eine organisierende Funktion besitzen. Und keineswegs hat ihre organisatorische Verwertbarkeit sich auf ihre propagandistische zu beschränken. Die Tendenz allein tut es nicht.“ Und weiter unten: „Die beste Tendenz ist falsch, wenn sie die Haltung nicht vormacht, in der man ihr nachzukommen hat. (…) Die Tendenz ist die notwendige, niemals die hinreichende Bedingung einer organisierenden Funktion der Werke. Diese erfordert weiterhin das anweisende, unterweisende Verhalten des Schreibenden.“

Zur Illustration seiner Thesen benutzt Benjamin auch das Beispiel Photographie, was unterstreicht, daß das hier Ausgesagte in den meisten Punkten vom Schriftsteller auf Künstler aus anderen Bereichen übertragen werden kann. Nur muß man natürlich die Veränderung der jeweiligen Produktionsbedingungen mitdenken, ebenso der Distribution; Ein im Museum hängendes Unikat ist etwas anderes als ein hunderttausend Fach gedruckter Text.

2.1. Produktion und Konsumtion

Der Begriff der Produktion läßt sich schwerlich ohne den der Konsumtion denken, denn wer stellt schon etwas her, das nicht ver- bzw. gebraucht wird. Auch innerhalb eines kommunistischen Systems mit seinen ausgeprägten Steuerungsmechanismen – wie etwa der Zensur – kann sich die Kunst nicht völlig den Gesetzen des Marktes entziehen, denn so sehr man auch in der Lage ist, das Angebot zu bestimmen, die Nachfrage in Form von Rezeption läßt sich nur bedingt erzwingen. Im Kapitalismus allerdings kann die Kunst unter bestimmten Aspekten geradezu als Teil der Wirtschaft begriffen werden, wenn die Werke der Künstler Teil des öffentlichen Raumes werden. So besteht der Zusammenhang von Produktion und Konsum ausschließlich auf der Basis von Angebot und Nachfrage, wobei der Begriff des Bedürfnisses als Bindeglied fungiert.

Die linken Denker haben seit Marx in ihrer Kritik dem Produktionsaspekt immer mehr Beachtung geschenkt als dem Aspekt der Konsumtion. Und diese Sichtweise läßt sich bis Francis Bacon zurückverfolgen, der schon davon ausgegangen ist, daß der durch zunehmenden wissenschaftlichen Erkenntnisgewinn verursachte technische Fortschritt auch – sozusagen automatisch – allgemeinen Wohlstand und damit die Lebensqualität ansteigen läßt. Was das für das Gebiet der Kunstkritik bedeutet das, kann man zwischen den Polen von autorfixierter Hermeneutik und neueren Theorieansätzen wie etwa den Cultural Studies, die eher die Sicht des Rezipienten auf das Werk betonen, sehen.

So wie das Kunstwerk „grundsätzlich immer reproduzierbar gewesen“ ist, so ist das Bedürfnis nach dem Konsum von Kunst seit jeher eine Voraussetzung für ihre Produktion. Für Benjamin nun „ist die technische Reproduktion des Kunstwerkes etwas Neues“, und mitunter als Folge davon hat sich das Bedürfnis nach Kunst hin zu einem profaneren Bedarf nach Kunst entwickelt. Denn durch die in Teilen der Kunst ständig sich steigernde Technisierung ihrer selbst und/oder der Medien, welche die Kunst verbreiten, wird diese auch finanziell immer aufwendiger und muß ja für eine Amortisierung ihrer Kosten sorgen. Schließlich schwingt im Kapitalismus beinahe immer der Wunsch mit, Gewinn zu machen – ob unterschwellig oder nicht. Und auch wenn ein Maler behauptet, nicht in erster Linie am Geld interessiert zu sein, dann ist es sein Gallerist, seine Ehefrau oder sonst eine involvierte Person; selbst wenn es alle behaupten, so lehnt es doch kaum einer von ihnen ab.

Auf der anderen Seite stehen die Rezipienten dieser Kunst. „Die Wohlstands- und Konsumgesellschaft ist durch eine Demokratisierung der Prosperität charakterisiert, die allen alles anbietet und jedem grundsätzlich die gleichen Konsumchancen ermöglicht (…). Dennoch bietet gerade in der Konsumgesellschaft der Markt wiederum die Chance, durch demonstrativen Verbrauch den eigenen sozialen Status zu dokumentieren.“ Der Erwerb von und die Teilnahme an Kunststücken gehört in diese Kategorie, denn was angesehen werden will, will auch gezeigt werden. Leute zahlen mittlerweile immer mehr Geld für Kunst, ihr Besitz ist ein Statussymbol. Doch nicht nur die ständige Inbesitznahme von Kunstwerken zwecks Bestätigung der Zugehörigkeit zu einer bestimmten, in diesem Fall höheren, Gesellschaftsklasse – dieses Phänomen läßt sich seit etlichen Jahrhunderten nachweisen, nur reduzierte es sich vor der Ausdifferenzierung des sozialen Systems nicht darauf –, auch der zeitweilige Konsum von Kunst in Form einer Dienstleistung wie etwa im Museum oder Kino zählt dazu, nur für eine viel breitere Masse von Kunden. Kunst wird unter diesem Aspekt zu einer Ware wie jedes andere Produkt auch, und um in ihren Genuß zu kommen, muß man Geld ausgeben; nicht wie im antiken Athen, wo man für den Besuch von Theateraufführungen bezahlt worden ist. Nach Bourdieu wird hier finanzielles in kulturelles Kapital umgewandelt, wobei es sich aus Sicht der Umwandelnden um eine Steigerung ihres eigenen Mehrwerts handelt, nicht etwa dem der Kunstwerke.

2.2. Sell out

Im Jahre 2002 fand in der Frankfurter Schirn eine Ausstellung mit dem Titel ‘Shopping. 100 Jahre Kunst und Konsum’ statt. Guillaume Bijl hat dort für ein gigantisches Readymade gesorgt, den kompletten Nachbau eines Supermarktes voller frischer Waren, einschließlich Kasse – nur kaufen ließ sich dort nichts. Ins Museum transportiert und seiner ursprünglichen Funktion beraubt, sorgt die bunte Warenwelt für einen bitteren Beigeschmack der Entfremdung, denn umgeben von Konsumprodukten, die sich weder kaufen noch einnehmen lassen, kommt dem obligatorischen Museumsmantra „Das berühren der Ausstellungsstücke ist untersagt.“ eine neue Bedeutungsebene zu. Andere Exponate sind Damien Hirsts Apothekennachbau oder der von Künstlern wie Andy Warhol und Tom Wesselmann eingerichtete ‚The American Supermarket’, in dem aus Plastik, Samt oder Papier nachgebildete Eier, Bananen und Hähnchen die Regale zieren. Spätestens hier wird die Analogie zwischen Kunst und Kapitalismus überdeutlich: Die verfremdeten Waren werden gerade dadurch, daß Künstler sie geschaffen haben, zu fetischartig begehrten Objekten, obwohl es sich bei ihnen um Fake-Produkte handelt. Gleichzeitig vermittelt diese Täuschung aber auch etwas vom Mehrwert, den die Kunst gegenüber allen anderen, sozusagen profanen Konsumgütern besitzt. Diese Eier und Bananen sind eigentlich nutzlos, sättigen keinen Hunger, doch in genau dieser Nutzlosigkeit liegt die Stärke der Kunst und vielleicht sogar ihre subversive Kraft, die Logik des Kapitalismus in Frage zu stellen.

Die ganze ‚Shopping’-Ausstellung war kurzweilig und bunt eingerichtet und hatte deshalb mit dem Paradox zu kämpfen, daß sie in ihrer Farbigkeit mit den Warentempeln konkurrierte, geradezu konkurrieren mußte, um Erfolg zu haben, und doch zugleich an ihnen Kritik üben wollte. Daß die Plastiktüten der Kunsthalle Schirn während der Dauer dieser Ausstellung mit denen des Frankfurter Kaufhofs identisch waren, wies bereits ironisch darauf hin, wie austauschbar Museum und Supermarkt mittlerweile geworden sind. Duchamps Readymade-Idee nähert sich mit dem Einzug der alltagskulturellen Designobjekte wie etwa Turnschuhen in die Museen der Vollendung.
In diesem speziellen Kontext erübrigt sich auch die Frage nach der Zensur: Wie soll man einen Supermarkt verbieten? Der Kontext erschließt die Kritik; nur weil der Supermarkt nicht an einer x-beliebigen Straßenecke, sondern im Museum steht, regt er zum Nachdenken über die Konsumgesellschaft an. Dasselbe Phänomen findet sich in etlichen literarischen Texten, beispielsweise in Bret Easton Ellis’ Roman ‘Less Than Zero’; hier wird eine bestimmte Lebensweise objektiv in einer neutralen, kalten Sprache beschrieben. Der Autor enthält sich jeglichen Kommentars, und doch wird das Werk als grandiose Kritik dieser Lebensweise gewertet; man fragt sich: wieso?

2.3.1. Technisierung des Konsums / Kunstkonsum

Wie man zu vorindustriellen Zeiten zum Tischler ging, um einen Stuhl zu bestellen, so ging man zum Maler, um ein Bild in Auftrag zu geben; die Produktion des Handwerkers erfolgte größtenteils jeweils auf eine spezielle Nachfrage des Kunden. Heute geht man zu Ikea und hat die Wahl zwischen Holz-, Metall- oder Plastikstühlen in einigen bestimmten Farben. Genauso besorgt man sich Kunst aus einer Galerie, ganz ähnlich wie in einem Kaufhaus, nur mit einem Unterschied: Während Stühle – im Unterschied zur Zeit Platons – und nahezu alle anderen Gegenstände, die man in einem Kaufhaus erwerben kann, industriell hergestellt werden, begreifen sich die meisten Künstler vornehmlich als Handwerker, auch wenn viele von ihnen in zunehmendem Maße technische Mittel für ihre Arbeit benutzen. Künstler wollen selbstbestimmt arbeiten, was eine individualistische Arbeitsweise voraussetzt, in der man sich nicht vorgegebenen Strukturen unterordnen muß. Sie geben meist vor, nicht auf irgendwelche Bedürfnisse des Publikums zu reagieren und pochen auf die Autonomie der Kunst. Auftragsarbeiten haben oft den Beige-schmack von Käuflichkeit.

Bleibt die Frage: Wer kauft heute Kunst? Firmen statten zu Repräsentationszwecken ihre Eingangshallen und Konferenzräume mit Kunstwerken aus. Die Kultivierung einer Sammelleidenschaft können oder wollen sich nur wenige Privatpersonen leisten. In Zeiten unsicherer Aktienmärkte schwankt sogar der Goldpreis, sodaß Investitionen in die richtigen Kunstobjekte Wertzuwächse versprechen. Für den Staat als Käufer von Kunst dient sie sicher auch zu repräsentativen Zwecken, doch weit wichtiger ist hier das Verständnis als das eines Mittelsmanns, da die Kunst – unter anderem in Museen – der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird. Trotz der – im übrigen natürlich durch Steuergelder finanzierten – Subventionen ist das eine Dienstleistung im kapitalistischen Sinn, da die Leute Eintritt bezahlen. Es ist sogar ein Wirtschaftsfaktor, rechnet man den Kunsttourismus hinzu.

2.3.2. Konsumierung der Technik / Konsumkunst

Nun haben sich aber auch seit der Möglichkeit der technischen Reproduktion von Kunstwerken eben diese Werke in das Alltagsleben der Menschen hinein vervielfältigt, ja nahezu verallgegenwärtigt. Das mag man wie Benjamin unter dem Stichwort vom „Verlust der Aura“, welche das Vorhandensein eines Kunstobjekts in einem bestimmten geographischen Raum als „Hier und Jetzt“ bezeichnet, bedauern. Oder man macht sich den Standpunkt von Boris Groys zu eigen, der da behauptet: „Bedeutend wichtiger für das Kunstwerk und für jedes kulturelle Phänomen überhaupt ist die Fixierung im besonderen Raum des kulturellen Gedächtnisses.“ Auf diese Weise läßt sich sogar den Drucken der Bilder Miros oder Kandinskys in den Wartezimmern von Zahnarztpraxen etwas – wenn auch nur bedingt – Positives abgewinnen.

Die mit der Industrialisierung einsetzende Technisierung der Produktion hat also auch nicht vor dem Kunstschaffen haltgemacht, und das wohl herausragendste Beispiel dafür ist die Herstellung eines Filmes, bei der – etwas zugespitzt formuliert – die Kreativleistung des Regisseurs und einiger Schauspieler der eher handwerklich-maschinellen Arbeit des restlichen Teams gegenübersteht. Es kostet Geld, Filme zu machen, und es wird in der Sparte ‚kommerzieller Film’ immer teurer, wovon die zunehmende Differenzierung des Berufsfeldes Produzent Zeugnis ablegt.

Auch läßt sich, trotz dieses ganzen Komplexes der Filmproduktion, beim Kinofilm eher von einer Dienstleistung sprechen als von einem Produkt, denn nicht die Filmrolle alleine ist das fertige Kunstwerk, sondern – anders als etwa im Falle von Literatur, die man mit den eigenen Augen lesen (bzw. seit neuestem auch mit eigenen Ohren hören) oder Bilder und Skulpturen, die man ohne fremde Hilfe betrachten kann – erst durch ihr Abspielen mit einem Projektor entsteht das Kunsterlebnis auf der Leinwand – genauer gesagt durch das Abspielen einer Kopie der Originalfilmrolle.

Und noch ein Wort zum Material: Wenn ein Film im Museum läuft, steht auf dem obligatorischen Kärtchen daneben der Titel, das Entstehungsjahr, der Regisseur, usw., nur das Material wie etwa ‚Öl auf Leinwand’ ist bezeichnenderweise nicht aufgeführt. Was sollte dort auch stehen, etwa: „bearbeitete Belichtung auf weißer Wand“ oder „gestellte Wirklichkeit auf Zelluloid“? Doch was sagt diese Tatsache aus? In Zeiten von Konzeptkunst und Multimediainstallationen scheint man sich eher für die Idee hinter dem Kunstwerk als für seine tatsächlich Ausarbeitung zu interessieren. Und das gilt gleichermaßen für Konsumenten wie für Produzenten, denn während Künstler wie Leonardo da Vinci oder Hieronymus Bosch noch über das Wissen verfügten, wie ein Firnis beschaffen sein muß, damit ihre Gemälde die Jahrhunderte überdauerten, so sind die Bilder von beispielsweise Jackson Pollock schon fünfzig Jahre nach ihrem Entstehen ein Fall für den Restaurator.

2.4. Das Museum als Wirklichkeit

So wie das Bedürfnis als Bindeglied zwischen Angebot und Nachfrage fungiert, so ist es zwischen Produktion und Konsum dasjenige der Distribution – und das nicht nur auf dem Gebiet der Kunst. Das Museum ist nur eine von vielen Distributionsmöglichkeiten von Kunst, wenngleich auch eine der prominentesten, deren Bedeutung seit ihres Bestehens ständig zunimmt.

Früher hatte die Kunst ihren Platz in Privatsammlungen und vor allem in den Kirchen. Dann wurde das Museum erfunden und machte seine Entwicklung vom bloßen Aufbewahrungsort zum lebendigen Erlebnispark durch. Früher verdiente ein Maler den größten Teil seines Einkommens mit Auftragsarbeiten, was mitunter am damals im Vergleich zur Gegenwart viel höheren Gebrauchswert von Kunstwerken lag. Die Photographie war noch nicht erfunden worden, und somit kam den Gemälden und Skulpturen die alleinige Aufgabe zur Illustration zu, sei es die Darstellung mythologischer, religiöser und geschichtlicher Ereignisse oder die Portraitierung einzelner Personen. Der Photograph eines Hochzeitsbildes wird heutzutage in den wenigsten Fällen als großer Künstler anerkannt.

Heute ist es für einen Künstler die höchste Auszeichnung, seine Werke in einem Museum wiederzufinden, das stellt für ihn die Anerkennung und Bestätigung der Qualität seines künstlerischen Schaffens dar. Es wird dabei viel von der künstlerischen Freiheit geredet, doch beschleicht einen oftmals der Verdacht, moderne Künstler produzierten ihre Werke museumsgerecht, zumindest der Form nach, denn die Bilder müssen an die Wand passen. Daß aber auch der Inhalt sich an Sujets orientiert, die dem Zeitgeist folgen, ist eine Entwicklung, die sich in letzter Zeit vielleicht intensiviert hat, doch läßt sie sich seit Anbeginn der Kunst aufweisen. So zeigt die Gegenwart nur, daß die Kunst für das Museum im Vergleich zur Höhlenwand oder dem Kirchenaltar nicht freier, aber auch nicht abhängiger geworden ist. Die Kunst ist also nicht nur durch die für die jeweiligen Werke verwendeten Materialien determiniert, sondern auch durch den sie umgebenden Raum. Das bringt uns wieder zu Benjamins Forderung nach einer Veränderung der Produktionsbedingungen; zwar fordert er nicht die Freiheit der Kunst, eher das genaue Gegenteil, doch wird damit die Verbindung von gesellschaftlicher und künstlerischer Revolution klar.

Das heißt allerdings nicht, mit der Absegnung der Demokratie kapitalistischer Prägung müssen auch die Entwicklungen im Kunstbetrieb fatalistisch hingenommen werden. So ist beispielsweise Fluxus in den Sechzigern als eine Bewegung gestartet, die auf direkte Kommunikation setzt und gegen die enormen Preise auf dem Kunstmarkt rebelliert. Doch der Erfolg hält sich offenbar in Grenzen, kann man Exponate dieser Richtung doch jetzt problemlos im Museum betrachten. Die Kritik am herkömmlichen Kunstbetrieb, er sei elitär, führt aber letztendlich dazu, die Grenzen des Kunstbegriffs zu erweitern.

2.5. Pop

Wenn sich die veröffentlichte Kunst also den Gesetzen des Marktes unterwirft, oder genauer: ihrer Vermarktung unterwerfen muß, so ist es nur folgerichtig, daß mit dem Verwischen der Grenze von U- und E-Kultur auch der Pop als eine Kunstform deklariert wird, weil damit ein potentiell größerer Absatzmarkt entsteht. Ohne schlechtes Gewissen läßt sich so der wochenendliche Diskobesuch in der Spalte Vermehrung des kulturellen Kapitals verbuchen, allerdings weit davon entfernt, den Konsum kultureller Güter jedweder Art als den großen Gleichmacher zu begreifen. Seit der ökonomischen Vereinnahmung der Punk-Bewegung ist Pop vom Widerstand der Jugend – als deren Artikulationsmöglichkeit die Popkultur lange galt – gegen das System zu einem Modell der Abgrenzungsmöglichkeit innerhalb der Jugend geworden. Und seitdem es clevere Geschäftsleute – idealerweise in Personalunion mit dem Künstler, wie zum Beispiel Andy Warhol als berühmtester Vertreter der Pop Art, der seinem Atelier den bezeichnenden Namen factory gegeben hat – verstanden haben, den Bruch mit den Traditionen als marktdynamische Innovation aufzufassen , führt diese Entwicklung letztendlich zu nichts anderem als der Entpolitisierung des Pop, eben weil die Populärkultur heutzutage problemlos in den allgemeinen Kunstbetrieb aufgesogen worden, selbst zum Museumsstück geworden ist. „Rebell zu sein, das nimmt einem heute niemand mehr ab. Oder vielmehr: es wird viel zu bereitwillig akzeptiert.“

Dies ist von den Initiatoren dieser Entwicklung so sicher nicht beabsichtigt gewesen. „Eine vitale, auf Präsenz angelegte Bewegung wird dann erst zum Objekt von nostalgischer Nacherzählung durch Sammler und Chronisten oder zum Objekt wissenschaftlicher Erklärung, wenn sie ihre unmittelbare Wirkung als Schlagkraft eingebüßt hat (Anm. d. Autors: Oder umgekehrt, büßt ihre unmittelbare Wirkung dann erst ein, wenn sie zum Objekt von Sammlern und Chronisten oder wissenschaftlicher Erklärung wird?). War es denn mit den künstlerischen Avantgarden anders? – Dada, Surrealismus, später Pop Art, Fluxus und Happening zielten auf Schock, auf augenblickliche Gleichsetzung von Kunst und Leben, und fanden sich doch kurz darauf im Museum wieder. Pop befindet sich in einer ähnlich ratlosen Situation wie die Bildende Kunst heute. Es gibt eine Unzahl an verschiedenen Stilen, Ausdrucksformen und Rückbezügen auf die eigene Vergangenheit, allerdings keine Werte mehr, auf die sich verbindlich geeinigt werden könnte.“ Aus der geforderten „Gleichsetzung von Kunst und Leben“ ist das künstliche Leben geworden, eben jenes Aufsaugen der Kunst in den Alltag mit all seinen Bedarfsweckungen und Verkaufsstrategien. Das macht es für Houellebecq möglich, ‘Die Welt als Supermarkt’ zu bezeichnen, so der deutsche Titel seines Essaybands, der sich weitgehend mit dem Thema Kunst beschäftigt. Der Philosoph Georg Simmel hat diesen Mechanismus der kapitalistischen Verwertungslogik auf einem anderen Gebiet relativ früh erkannt, auch wenn er damals nicht damit gerechnet haben mag, daß sich Mode und Kunst einander in dem heute bekannten Maße annähern würden. Er schlägt vor, um nicht ein völliges Opfer des Modediktats zu werden, solle man dieses befolgen, allerdings ohne ihm große Beachtung zu schenken, da aus einer Verweigerung der Befolgung flugs eine neue Mode kreiert werden würde.

Von Pophistorikern sind Aktionen der Affirmation oder Dekontextualisierung dann folgerichtig auch oft als reine Strategien interpretiert worden. Den Gesetzen des Jahrmarktes der Eitelkeiten folgend, werden die verschiedensten Aktionen auf ein Reaktionsschema der Abgrenzung reduziert. An diesem Punkt genügt nicht nur die Popkultur schon lange sich selbst; aus dem Streben nach einer Autonomie der Kunst ist ein geschlossenes System der Autoreferenz geworden.

Schluß

Zumindest theoretisch besteht kein wirklicher Widerspruch zwischen einer autonomen Kunst und der Kunst im Dienste einer Sache, wie sie von den im ersten Teil dieses Textes vorgestellten Autoren proklamiert worden ist. Heutige Künstler müssen nicht per se auf eine politische Aussage verzichten, und oftmals wollen sie das auch nicht, doch drückt sich in der Forderung nach einer absoluten Autonomie des künstlerischen Schaffens die Angst vor Vereinnahmung aus.

Arvatovs Verneinung der Einheitlichkeit von Kunst und sein Hinweis auf die Gefahr einer Überbetonung der Form zuungunsten des Inhalts haben nichts von ihrer Aktualität verloren. Die von Tretjakows Theorie des operativen Schriftstellers ausgegangenen Impulse wirken noch bis heute. Benjamins Kritik an den Produktionsbedingungen innerhalb des Kunstbetriebs hat zwar nicht zu einer direkten Veränderung dieser Bedingungen geführt, aber dazu beigetragen, auf ihr Vorhandensein aufmerksam zu machen.

Allerdings konnten neuere Medien wie etwa das Internet in den Theorien dieser Autoren naturgemäß keine Berücksichtigung finden, und einem dezentral rezipierten Medium wie dem Fernsehen läßt sich schwerlich mit dem Begriff der Aura beikommen. Doch verbindet sich mit diesem Problem auch gleichzeitig das mit den Grenzen der Kunst, so behauptet Hans Heinz Holz, was sich nicht in einem Museum ausstellen läßt, sei überhaupt nicht als Kunst anerkennbar. Nicht nur über Geschmack läßt sich eben streiten.

Literaturangaben
  • Boris Arvatov, Kunst und Produktion
  • Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit
  • Walter Benjamin, Der Autor als Produzent
  • Pierre Bourdieu, Die feinen Unterschiede. Kritik der gesellschaftlichen Urteilskraft
  • Boris Groys, Über das Neue. Versuch einer Kulturökonomie
  • Hans Heinz Holz, Vom Kunstwerk zur Ware. Studien zur Funktion des ästhetischen – Gegenstands im Spätkapitalismus
  • Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung. Philosophische Fragmente
  • Michel Houellebecq, Die Welt als Supermarkt
  • Peter Kemper, u. a. (Hrsg.), Alles so schön bunt hier. Die Geschichte der Popkultur von den Fünfzigern bis heute
  • Wolfgang König, Geschichte der Konsumgesellschaft
  • Sergej M. Tretjakow, Die Arbeit des Schriftstellers. Aufsätze Reportagen Porträts
  • Sergej M. Tretjakow, Gesichter der Avantgarde. Porträts Essays Briefe
  • Sergej M. Tretjakow, Lyrik Dramatik Prosa
  • Erich Weber, Die Verbrauchererziehung in der Konsumgesellschaft