Oberlippenbekenntnisse

Eins vorweg: Ich bin ein fauler Mensch. Daß ich auch in Stilfragen dem Primat der Bequemlichkeit huldige, macht mich wahrscheinlich nicht gerade zum Ehrenmitglied der League Of Gentlemen, liegt aber vielleicht in der Familie. Seit ich denken kann, trägt mein Vater aus, wie ich annehme vorwiegend praktischen Überlegungen, einen Vollbart und ich eifere ihm insofern nach, als mir die allmorgendliche Rasurprozedur an den meisten Tagen ebenfalls zu aufwendig erscheint.

Wenn meine Bartstoppeln zu lang werden und also beginnen, sich zusammenzuraufen, um ein ausgewachsener Vollbart zu werden, dann nennt mich meine Frau einen „Halunken“. Für mich das Zeichen, zum Bartstutzer zu greifen und damit einen etwa Dreizehn-Tage-Bart um zehn Tage zu kürzen. Das ist jedenfalls meistens die Regel. Nur alle paar Monate bricht sich meine Vorliebe für einen gepflegten Schnurrbart Bahn. Und zwar gegen den erklärten Willen meiner Frau.

Doch auch in mir selbst regen sich oben skizzierte Widerstände. Das Problem bei einem Schnurrbart ist, daß man den Rest des Gesichts täglich rasieren muß. Denn eine Kombination von Schnurr- und Drei-Tage-Bart sieht einfach fürchterlich aus. So stellt man sich den Räuber Hotzenplotz vor, so erinnert man sich an Bilder von Dieter Degowski am Ende des Gladbecker Geiseldramas. So will Mann nicht aussehen. Also wird der Bart nach wenigen Wochen wieder in den restlichen Gesichtsstoppelacker eingeebnet.

Man soll ja öfter mal was Neues ausprobieren und da ich noch nie ein Interview geführt habe, stelle ich der Frau, auf deren Meinung ich (abseits dieser haarigen Angelegenheit) ziemlich viel Wert lege, einige Fragen zum Thema.

Du magst es nicht besonders, wenn ich einen Oberlippenbart trage. Kannst Du etwas zu den Gründen sagen?
In erster Linie liegt es nicht am Aussehen. Es ist vor allem das Gefühl beim Küssen, so ein Schnurrbart stört dabei ungemein.

Okay das leuchtet ein. Selbst ich als gelegentlicher Träger muß zugeben, daß sich Küssen ab einer bestimmten Bartlänge nicht mehr ganz so toll anfühlt. Aber zufrieden bist Du mit dem Aussehen in zweiter Linie ebenfalls nicht?
Richtig, mein Vater hat eine ganze Weile einen Schnurrbart getragen. Und ich will nicht, daß mich der Anblick meines Mannes an meinen Vater erinnert. Hipstertum hin oder her, Schnurrbärte sind etwas für alte Leute. Bloß weil man sie ironisch trägt, werden sie noch lange nicht cool.

In der Tat, der in die Jahre gekommene Günther Grass ist ein klassischer Schnurrbärtiger. Männer, die man gar nicht ohne Oberlippenbehaarung kennt bzw. sich überhaupt nicht vorzustellen in der Lage ist. Früher hat es allerdings Männer gegeben, denen ein Schnurrbart gut zu Gesicht gestanden hat.
Aber das liegt meiner Meinung nach nicht am Schnurrbart allein, niemand wird einzig aufgrund seines Schnurrbarts zu einer einnehmenden Erscheinung. Ich würde sagen, bei Männern wie Errol Flynn oder Tom Selleck ist ein Schnurrbart im Zuge des Gesamterscheinungsbildes zu tolerieren. Clarke Gable in „Vom Winde verweht“ ohne Schnurrbart – undenkbar.

Gerade deswegen möchte ich bezweifeln, daß der Oberlippenbart in Teilen der heutigen Jugend eine rein ironische Verwendung findet. Allerdings haftet ihm etwas Unoriginelles an, wie das heutige Tragen von Kleidung der 80er-Mode. Der Schnurrbart ist zuallererst ein Zitat.
Das ist doch nichts Schlimmes. Was ist denn heute überhaupt noch originell? Ich kann ja verstehen, daß sich besonders junge Männer einen Bart stehen lassen. Sozusagen als Versicherung ihrer Männlichkeit. Wenn man unter zwanzig ist, dann sind Haare im Gesicht doch nur ein Code für: Haare am Sack. Und das ist ja auch in Ordnung.

Nur bitte keinen Schnurrbart?
Genau.


(Dieser Artikel ist 2010 in der Style-Rubrik eines mittlerweile eingestellten Online-Männermagazins erschienen.)