Nach Diktatur verreist

SpOn vermeldet, daß es (Spoiler!) mit München und Dessau zwei deutsche Orte auf die Liste mit den diesjährigen Reisezielempfehlungen der New York Times geschafft haben.

Viel interessanter finde ich allerdings den Hinweis darauf, unter welcher Prämisse 52 Places to Go in 2019 zusammengestellt worden ist. Die Leiterin des Reiseressorts hat nämlich einen Artikel über die Entstehung der Liste verfasst, den SpOn in seiner Meldung anführt:

Die Liste bündele auch Orte, die bedroht sind… Die Redaktion habe den “Klimawandel zur Priorität” erkoren. “Bei welchen Orten laufen wir Gefahr, sie zu verlieren?”, lautete eine der Leitfragen – wegen der globalen Erwärmung, dem steigenden Meeresspiegel und heftigeren und häufigeren Stürmen.

Das kann man sich nicht ausdenken. Erst vor einem Monat konnte man ebenfalls auf SpOn lesen, was man persönlich gegen den Klimawandel tun könne. Dort heißt es sogar groß in einer Zwischenüberschrift: “Flugreisen zerhauen die CO2-Bilanz komplett”. Und wir brauchen wohl kaum über den kausalen Zusammenhang von Treibhauseffekt und Erderwärmung zu diskutieren.

Und da wird allen Ernstes vorgeschlagen, schnell zu ein paar bedrohten Sehenswürdigkeiten zu jetten, bevor diese endgültig den zum Großteil benzingefüllten Bach runtergehen? An genau 52 Orte, damit man jedes Wochenende einen Kurztrip machen kann. Schön Kerosin ins Feuer gießen.

Erinnert natürlich stark an diese Winterlochdebatte „Grünen-Politiker im Urlaub“. Zum Symbolbild dafür wurde dieser Post von Katharina Schulze erkoren. Die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Bayrischen Landtag stellt gerne Forderungen zum Klimaschutz – allerdings ohne sich selbst einzuschränken, wie es scheint.

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Ein Beitrag geteilt von Katharina Schulze (@kathaschulze) am

Schulze hat das Photo nicht gelöscht, aber die Kommentare abstellen (müssen). Für einige Tage nach Kalifornien fliegen und dort plastikverpacktes Eis essen – Shitstorm unredlich verdient, würde ich sagen.

Es wäre allerdings weit weniger schlimm, wenn es sich hierbei um einen ungeschickten Einzelausrutscher handelte. Doch dem ist beileibe nicht so, wie die Statistik zeigt. Zumindest gibt es wenig Gründe anzunehmen, diese über vier Jahre alten Zahlen (wieder SpOn) hätten sich geändert.

Zur Info: Die Verbrennung eines Liters fossilen Brennstoffs erzeugt ungefähr drei Kilogramm CO2. Richtig gelesen, das dreifache des eigenen Gewichts wird in Treibhausgas umgewandelt. Wieviel man selbst davon verschuldet, kann man beim Flight Emissions Calculator nachrechnen.

Fliegen ist zwar nach dem Beheizen einer geräumigen Altbauwohnung der mit Abstand zweitgrößte Klimakiller mit persönlicher Verantwortung, siehe oben, aber eben nicht die einzige Öko-Sünde. Neben Schulzes Photo gab es zum Jahresende einen weiteren Shitstorm in den sozialen Medien, bei dem sich meiner nicht ganz so völlig subjektiven Einschätzung zufolge am meisten diejenigen über diesen Tweet auf, die regelmäßig zum Relaxen nach Südostasien jetten und mehrmals pro Jahr für Citytrips durch Europa düsen. Es ist diese spezielle Blase, die gerne über die Ewiggestrigkeit von allem außer Onlinehandel und Elektroautos spricht, während die Realität so aussieht.

Es ist natürlich wahr, die angesprochenen Streitpunkte stehen für mehr als Umweltverschmutzung. Es geht auch um Verkehrstote und Tierquälerei – während ein Thailandurlaub lediglich Kinderficker quersubventioniert.

Ich fürchte, in zwanzig Jahren auch so ein unverstanden gefühlter Alterweißermann zu werden. Aber wenigstens kann ich dann so ignorant sein, Euch dafür die Schuld zu geben.

Die Welt retten wollen, aber nicht bei sich selbst anfangen. Man steht ja über den Dingen. So wie Al Gore durch die ganze Welt fliegen, um überall Vorträge über Umweltverschmutzung zu halten. Das ist nicht witzig. Weil es eben ehrlicherweise wahr ist.

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